Freitag, 23. September 2016

Der Makel

 

Vor ein paar Tagen war noch alles in Ordnung. Ja, okay! Zehn Jahre Ehe und zwei Kinder gehen auch nicht spurlos an einem vorbei. Aber es war alles in Ordnung. Die alltäglichen Probleme hat schließlich jeder. Wir hatten uns doch zusammen gerauft und immer wieder eine neue Taktik gefunden.

Und jetzt? Jetzt ist alles anders. Ein weißes Blatt Papier hat mein Leben zerstört. Vorhin war ich noch gesund. Jetzt bin ich mit einem Makel gekennzeichnet. Ein Makel, welches ich nicht weg waschen kann. Dabei war es nur eine Routineuntersuchung. Spaßeshalber sagte ich noch zu meinem Arzt: „Naja, so positiv werde ich ja wohl nicht sein!“ Wie denn auch, wenn man keinen Geschlechtsverkehr mit Anderen hatte. Doch die Diagnose war fataler als befürchtet. Der Arzt versuchte mich noch zu beruhigen und sagte: „Herr Schnigger, das ist erst mal nur der Nachweis eines HB-Antigen. Kein Grund zur Beunruhigung. Wir werden das Ganze mal im Auge behalten. Ach, übrigens. Sie sollten sich mit ihrer Frau unterhalten. Die sollte sich gegen die Hepatitis impfen lassen. Allerdings tragen sie die Kosten dafür selbst!“ Er gab mir einen neuen Termin für einen Tag, der zwei Monate später lag und meinte, dass er noch einmal Blut abnehmen müsste. Den Diätplan für Lebergeschädigte gab er mir auch nur rein prophylaktisch mit. Gerade bekam ich einen Anruf vom Gesundheitsamt. Intime Fragen wurden mir gestellt und auch bekam ich einen neuen Blutspendepass, in dem Das Endergebnis einer HB-Infektion eingetragen war. Witzig dass man das alles nur als Prophylaxe deklariert hatte. War ja auch nicht schlimm. Ich hatte eben mal einen Virus im Blut. Gibt doch Schlimmeres. Andere haben HIV oder Krebs. Was rege ich mich eigentlich auf mit dem blöden Virus. Einen HIV-Träger mit ausbrechender Krankheit trifft es doch viel schlimmer als mich, oder?

Ich bin doch nicht krank. Und überhaupt: das ist doch wieder so eine exotische Krankheit, die längst ausgestorben ist. So, wie Tripper, Syphilis oder Herpes oder Malaria. Ich meine Malaria ist doch Gelbfieber. Gelbsucht, Gelbfieber, ist doch alles dasselbe. Man wird krank und hat ein Problem. Außerdem kann man doch impfen. Apropos impfen. Wo ist denn schon wieder mein Impfpass? Ah, hier! Hep A+B 12.03.1994!

Moment mal, das ist doch schon 15 Jahre her. Kein Wunder! Und wo hab ich den Scheiß überhaupt her? Ich sehe schon, wie meine Frau ausholt. Klatsch!
Mist, ich konnte meinen Kopf so schnell nicht weg ziehen. Aua, das hatte gesessen. „Du Schwein!“, höre ich sie sagen. „Wie heißt sie? Ist das die Kleine aus dem Restaurant oder die Dorfschlampe? Ãœber die ist doch schon jeder gestiegen!“ Es tut mir wirklich Leid, aber ich habe auch keinen blassen Schimmer, wie ich mich angesteckt haben könnte. Ich habe keine Affäre, Seitensprung oder sonstiges gehabt. Ich bin nicht drogenabhängig und kenne auch keine Infizierten. Bloß, wird sie mir das glauben?

Mir, der doch ein Makel hat? Tränen laufen über mein Gesicht. Ich habe unsere Wohnung verlassen. Mein Leben ist kaputt. Unsere Ehe ist kaputt. Wo ist es denn her gekommen? Ich habe keine Ahnung. Ein Tattoo oder eine Unvorsichtigkeit? Sex? Nein, das ist ausgeschlossen. Ich betreibe Geschlechtsverkehr doch nur mit Gummi. Ich meine natürlich nicht den Verkehr mit meiner Frau. Ich meine, wenn ich eine andere ... Aber das habe ich nie getan. Oder vielleicht doch? Nein, das kann nicht sein. Eine Wette unter Freunden unter völligem Alkoholeinfluss. Es ging darum, ob man das Glied eines Freundes in den Mund nehmen würde. Eine Spielerei, eine Wette unter Freunden.

Ich höre gerade wieder die Stimme des Herren vom Gesundheitsamt: „Homosexuell sind sie auch nicht?“ Nein, natürlich nicht. Aber bei der Wette hatten wir keine Kondome dabei. Ich meine, ich würde niemals das Sperma eines Fremden schlucken. Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich bin verseucht und keiner kann mir meine Fragen beantworten. Auch weiß ich nicht, ob die Krankheit ausbricht. Gelbsucht, Hepatitis ... Wer weiß schon was das überhaupt ist. Ist meine Leber krank? Verläuft die Infektion chronisch? Oder doch akut? Wo ist denn da der Unterschied? Ich sehe mich schon vor meiner Frau stehen. „Du Schatz, es tut mir Leid! Aber ich habe meinem besten Freund einen geblasen!“ Na, die wird begeistert sein, wo sie doch schwulen Sex Ekel erregend findet.

Und jetzt bin ich auch noch beim Gesundheitsamt gemeldet. Ich habe ein Makel, einen Schandfleck. Wenn das heraus kommt, bin ich überall unten durch. Wer wird sich denn mit mir noch abgeben. Fremdficker, Schwule Sau oder Junkie wird man mich nennen. Und das in unserem Dorf. Ich merke es doch schon beim Arzt. „Guten Tag, Herr Schnigger. Setzen sie sich doch schon mal auf den Stuhl vor den Behandlungsraum!“

War ja klar, sonst saß ich bei den Anderen im Wartezimmer. Ich überlege schon, was werden soll. Meine Frau lässt sich impfen und hat einen vollständigen Schutz in einem halben Jahr. Und was soll dazwischen passieren? Darf sie mich noch küssen? Verkehr nur mit Kondom. Sie hasst Kondome! Vielleicht werde ich sie verlieren? Ich weiß es nicht.

Und alles nur wegen einer Wette, wegen einem Makel. Wegen einem Virus, dass im schlimmsten Fall meine Leber angreift und sich vermehrt, eine mögliche Leberzirrhose verursacht und mich zum Pflegefall macht. Und alles nur, weil die Meinung anderer wichtiger war. Weil mir der Gedanke, ein Loser zu sein Unbehagen bereitete.

Was unterscheidet mich denn noch von einem HIV-Infizierten? Die Antipathie kommt ganz gewiss. Und eines ist sicher: Das Virus werde ich nicht mehr los.

Was bleibt ist ein Makel.


Unsichtbare Gefahr
© by Pinball


Sie lauert still vielleicht in dem, der dich gerade nett ansieht und in deinen Gedanken, ob du die Nacht mit ihm verbringst
ist für Gefahr weder Zeit noch Raum.
Nichts wirst du hören, riechen, sehen, schmecken, wenn sie still und leise heimlich sich in deinen Körper schleicht und von dir Besitz ergreift und irgendwann von dir den Preis für deinen Leichtsinn fordert. Namen hat sie viele und Möglichkeiten auch dich zu zerstören und es ist an dir und nur an dir, den Zutritt zu dir selbst ihr zu verwehren und auch andren den Schutz den du dir selber gibst mit gleicher Selbstverständlichkeit auch zu gewähren. Gib Sicherheit wo du sie selbst erwartest und stets benutze den gummierten Schild, der doch so leicht zu tragen und seinen Platz in jeder Tasche findet.



Was ist das?
© by Moonwhisper

HBV - Ich habe mich nicht sehr oft mit diesem Thema beschäftigt. Warum auch, dachte ich. Bis ... bis mir vor ein paar Wochen ein sehr nahe stehender Mensch sagte, dass er HBV habe. Er klärte mich zuerst einmal auf, was es damit genau auf sich hatte. Und vor allem, was ihm vielleicht gesundheitlich passieren könnte! Ich war erstmal ziemlich fertig, als wir unser Gespräch beendeten. Da rannen Tränen und eine fast lähmende Angst kam in mir hoch, um jemanden mit dem ich so viel Worte und Gefühle teile. Der aus meinem Leben einfach nicht mehr weg zu denken ist!

Ich wollte ... Ich will ihn umarmen. Verbal kann ich dies tun... Doch ich soll und darf ihm nicht näher kommen. Aber wenn man jemand sehr mag, will man dies doch.... Den Freund mal in die Arme nehmen, ihn trösten, mich trösten lassen! Mit seiner unnachahmlichen Art machte er mir klar, dass ich mich schützen sollte. Vor ihm! Und überhaupt! Deswegen werde ich mich impfen lassen! Ihm zuliebe, und vor allem mir zu liebe. Denn es könnte auch mich treffen!

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